Der Bundesgerichtshof hat sich erneut mit der Frage befasst, in welchem Umfang Kinder im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit (§ 1603 Abs. 1 BGB) zu Unterhaltsleistungen für ihre Eltern herangezogen werden können. Seit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz können Kinder, die unter 100.000 Euro im Jahr verdienen, nicht mehr für Pflegekosten ihrer Eltern herangezogen werden. Der Bundesgerichtshof hat nun geklärt, wie dieses Einkommen zu berechnen ist. In einer aktuellen Entscheidung hob er eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf auf und verwies die Sache zurück (Az. XII ZB 6/24).
Im Streitfall nahm der Sozialhilfeträger den Antragsgegner (Sohn) auf Zahlung von Elternunterhalt für seine pflegebedürftige Mutter in Anspruch. Die Mutter lebte in einer vollstationären Pflegeeinrichtung und konnte die Kosten ihrer Heimunterbringung mit ihrer Sozialversicherungsrente sowie den Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nicht vollständig decken. Der Sozialhilfeträger zahlte ihr monatlich Sozialhilfeleistungen von rund 1.500 Euro. Der Sohn war verheiratet und lebte mit seiner nicht erwerbstätigen Ehefrau sowie zwei volljährigen Kindern in einem den Ehegatten gehörenden Einfamilienhaus. Sein Jahresbruttoeinkommen belief sich auf gut 133.000 Euro. Das Oberlandesgericht stufte ihn jedoch als nicht leistungsfähig ein. Es zog von dem Bruttoeinkommen des Sohnes neben Steuern und Sozialabgaben auch Unterhaltspflichten, berufsbedingte Aufwendungen sowie Versicherungen und Altersvorsorgeaufwendungen ab und errechnete unterhaltsrelevante Nettoeinkünfte des Sohnes zwischen 5.451 und 6.205 Euro monatlich. Das Oberlandesgericht war der Ansicht, dass sich der Mindestselbstbehalt beim Elternunterhalt mit Blick auf § 94 Abs. 1a Satz 1 und 2 SGB XII an diesem Nettobetrag orientieren müsse. Einen angemessenen Mindestselbstbehalt setzte es daher bei 5.000 Euro für Alleinstehende und 9.000 Euro für Verheiratete an.
Der Bundesgerichtshof hielt diese Orientierung am Nettobetrag nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben jedoch für fehlerhaft. Der Umfang der sozialhilferechtlichen Rückgriffsmöglichkeiten könnte nicht für den Umfang der zivilrechtlichen Unterhaltspflicht maßgeblich sein. Denn der Regress bzw. der Verzicht darauf knüpften gerade an das Bestehen eines bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruchs an. Der Gesetzgeber habe mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz vom 10.12.2019, mit dem die Einkommensgrenze im SGB XII eingeführt wurde, jedoch bewusst darauf verzichtet, die bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflichten von Kindern zu ändern. Die Vorwegbereinigung des Nettoeinkommens durch das Oberlandesgericht führe nach Auffassung des Bundesgerichtshofs faktisch zu einer erheblich höheren und so vom Gesetzgeber nicht gewollten Jahreseinkommensgrenze.
Des Weiteren stellte der Bundesgerichtshof klar, dass die bisherigen Mindestselbsthalte in den Leitlinien der Oberlandesgerichte (z. B. 2.650 Euro für das Jahr 2024) rechtlich nicht zu beanstanden seien. Zudem dürfte es künftig aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden sein, wenn dem unterhaltspflichtigen Kind nach Inkrafttreten des Angehörigen-Entlastungsgesetzes ein über die Hälfte hinausgehender Anteil – etwa 70 % – des seinen Mindestselbstbehalt übersteigenden bereinigten Einkommens zusätzlich belassen wird.
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